Mafia-Film "Il Traditore"
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Marco Bellocchio im Gespräch mit Patrick Wellinski |
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In seinem neuen Spielfilm zeichnet der italienische Regisseur Marco Bellocchio das vielschichtige Porträt des Mafiabosses Tommaso Buscetta. Der Norditaliener tauchte dafür tief in die sizilianische Welt ein, um deren Codes besser zu verstehen.
Man nannte Tommaso Buscetta auch den "Boss zweier Welten", weil er seine Geschäfte nicht nur in Europa, sondern auch in Südamerika trieb. Er lebte eine Zeit in Brasilien, mit Familie und falscher Identität, nachdem er aus einem italienischen Gefängnis floh. Doch Anfang der 1980er Jahre wurde Buscetta an Rom ausgeliefert.
Der Spielfilm "Il Traditore" des Regisseurs Marco Bellocchio porträtiert das Leben von Buscetta auf sehr ambivalente Weise und kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos. Erzählt wird auch von den legendär gewordenen Maxi-Prozessen, in denen Buscetta erstmals die Strukturen und Codes der Mafia einer Öffentlichkeit erklären konnte.
Patrick Wellinski: Was fasziniert Sie so sehr an der Figur von Tommaso Buscetta?
Marco Bellocchio: Ich war an seiner Lebensgeschichte interessiert. Dabei war es nicht die Faszination des Bösen, die mich angezogen hat. Buscetta ist für mich ein Mann, der sich gezwungen fühlte, sein Leben zu retten, indem er beschloss, mit dem italienischen Staat zusammen zu arbeiten. Also etwas, das für einen Mafioso seines Kalibers eigentlich undenkbar war.
Diese Entwicklung wollte ich zeigen. Es ist auch eine sehr dramatische Geschichte. Wir müssen nämlich bedenken, dass im Zuge seiner Kooperation Buscettas halbe Familie hingerichtet wurde. Diese Tatsache lässt sein Handeln nochmal in einem anderen Licht erscheinen. Buscetta kooperiert nicht aus einer edlen Haltung heraus. Das hat nichts Heldenhaftes. Auf den ersten Blick wollte er seinen Kopf retten.
"Buscetta ist für mich kein Held"
Patrick Wellinski: Aber so leicht ist das ja nicht. Buscetta, jedenfalls so wie Sie ihn in ihrem Film anlegen, ist eine zwiespältige Figur. Täter und Opfer. Vielleicht doch ein Held?
Marco Bellocchio: Buscetta ist für mich kein Held. Ich habe in meinem filmischen Porträt versucht zu zeigen, dass die Person Buscetta voller Widersprüche ist. Es gibt ab einem gewissen Punkt in seinem Leben keine Eindeutigkeiten. Buscetta war als Mafioso eine grausame Figur, jemand, der noch im Gefängnis probiert hat, sein gewohntes Leben weiterzuführen. Er hat sich Prostituierte bestellt, er hat Morde in Auftrag gegeben. Und obwohl er das bestritten hat, hat er damals auch am internationalen Drogenhandel mitgewirkt.
Es war ein Schlüsselmoment dieses Lebens: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino, r.) macht seine Aussage vor Richter Giovanni Falcone (Fausto Russi Alesi, l.).© Pandora Film
Er war ein Mann, der gerne sein altes Leben als großer Verbrecher in Brasilien weitergelebt hätte. Es wäre ihm ohne Zweifel gelungen, wenn er nicht an den sizilianischen Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone ausgeliefert worden wäre. Buscetta hatte damals die Wahl: Tod oder Überleben.
Überleben war aber nur möglich, wenn er begann zu "singen" und mit Falcone zu kooperieren. Er entschied sich fürs "Singen". Das brachte ihm sogar in einem gewissen Teil der italienischen Bevölkerung Respekt ein. Doch für die Sizilianer und die Mafia ist er bis heute ein Verräter, ein Judas.
Eintauchen in die sizilianische Welt
Patrick Wellinski: Sie kommen aus dem Norden Italiens, aus Piacenza. Wie schwer war es, sich in die Kultur der sizilianischen Mafia-Strukturen hineinzuversetzen?
Marco Bellocchio: Für mich bedeutete die Arbeit an diesem Film eine Rückkehr zur guten alten Recherche. Ich habe mich mit vielen Sizilianern getroffen. Habe mir die Geschichte, die Funktionsweise und das Leben mit und durch die Mafia erklären und erzählen lassen. Zwei Menschen, die mir sehr geholfen haben, waren zum Beispiel die beiden bekannten Journalisten und Autoren Saverio Lodato und Ciccio La Licata, die sich seit Jahren mit der sizilianischen Mafia auseinandersetzen. Beide hatten zudem Tommaso Buscetta auch persönlich kennengelernt und konnten mir viel über ihn und sein Verhalten erzählen.
Ich habe dann eine Zeit lang versucht, auf Sizilien diesen Lebensstil selber zu leben. Ich wollte selber spüren, was diese "Sicilianitá" eigentlich ist. Und dabei habe ich bemerkt, dass die Sprache eine zentrale Rolle spielt. Erst über die Sprache konnte ich auch mit meinem Film in diese Welt mit ihren Codes und Normen eindringen. Damit konnte ich die Oberflächlichkeit verlassen und tiefer eintauchen in diese "sizilianische Welt". Dabei verstehe ich das Sizilianisch nicht. Und im Film selbst gibt es im italienischen Original Untertitel, wenn die Figuren sizilianisch sprechen.
Für mich selbst war das ein langer Weg dahin, weil dieses Leben nichts mit mir zu tun hat. Ich komme aus dem Norden Italiens, ich komme aus einer bürgerlichen Familie. Unsere Themen und Probleme sind ganz andere. Wir beschäftigen uns mit Psychiatrie und Politik, das sind die interessanten Dinge für uns. Im Süden ist es anders. Das zu verstehen war eine große Herausforderung für mich. Das hat aber auch eine große Begeisterung für diese Geschichte ausgelöst – eben, weil es so weit weg von meinem Leben ist.
In der Tradition des italienischen Mafia-Films
Patrick Wellinski: Im Grunde gibt es zwei Arten des Mafia-Films. Die amerikanische Tradition und die italienische. Was unterscheidet diese beiden Traditionen?
Marco Bellocchio: Zuerst muss man wissen, dass der von Ihnen erwähnte amerikanische Zweig der Mafia-Filme mittlerweile auch in Italien tonangebend für das Genre geworden ist. Die Marktdominanz dieses Stils, beziehungsweise dieser Erzählhaltung begann natürlich mit der Pate-Trilogie von Francis Ford Coppola, die einen unglaublichen Einfluss auf das italienische Kino gehabt hat. Bis heute sind diese Filme eine Referenz für das Publikum in Italien. In gewisser Hinsicht gilt das auch für die Regisseure. Es ist sicherlich kein Zufall, dass selbst Sergio Leone für "Es war einmal in Amerika" – in dem er ja die Anfänge der italienisch-jüdischen Mafia in Amerika rekonstruiert – diese Muster übernommen hat. Er hat ein Meisterwerk gedreht, aber Leone hat daraus einen amerikanischen Film gemacht.
Meine Sozialisation beruht auf Werken aus dem anderen Zweig der Mafia-Filme. Den vielleicht größten Einfluss auf mich hatte Gianfranco Rosis "Wer erschoss Salvatore G." von 1962. Es ist durch und durch ein italienischer Film.Er erzählt seine Geschichte über die Mafia ohne Verweise auf das amerikanische Kino. Für mich ist das bis heute der absolute Referenzfilm, wenn es um das Genre des italienischen Mafiafilms geht. Und das wollte ich auch in meinem Film erreichen. Ich habe versucht, den spezifisch italienischen Charakter der Mafia darzustellen.
Patrick Wellinski: Ihr Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino spielt ja den Tommaso Buscetta. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Rolle sehr zu eigen macht. Wieviel Freiheiten haben Sie ihm dafür eingeräumt oder haben Sie ihm konkrete Anweisungen gegeben?
Marco Bellocchio: Mir war die Welt der Mafia und "Sicilianitá" fremd und für Favino war das genauso. Wir haben uns parallel über diese Welt informiert. Ich vermute mal, dass er das noch intensiver getan hat als ich. Das liegt auch daran, dass ich die ganze Geschichte im Blick haben musste. Favino hatte den Luxus, sich einzig und allein tief in die Persönlichkeit von Buscetta zu vertiefen. Er ist ein herausragender Schauspieler, oder besser: ein Schöpfer von Rollen. Ich schätze ihn sehr. Es war auch gar nicht schwierig, mich mit ihm zu verständigen. Wir hatten eine ähnliche Vorstellung von Buscetta.
Das ist auch der Vorteil, wenn man mit einem großartigen Schauspieler zu tun hat. Man muss ihm nicht sagen, was er genau zu tun hat. Das geschieht quasi von allein. Da geht es beim Drehen am Set nur noch um Nuancen und Varianten von gewissen Dingen. Um die Persönlichkeit von Buscetta darzustellen, musste aber nicht nur Favino alles geben. Das ganze Team hat dazu beigetragen. Auch die anderen Schauspieler. Alle mussten mir helfen, diese Vielschichtigkeit auf die Leinwand zu bannen. Denn in Buscetta spiegelt sich bis heute ein Teil der italienischen Gegenwart.